Die Welt (Hamburg)
Articles about the burial of Herbert Marcuse's Ashes, July 2003

prepared for the marcuse.org/herbert website by Harold Marcuse, July 29, 2003


July 15, 2003
Urne Herbert Marcuses in Berlin
Die Urne mit der Asche des Philosophen Herbert Marcuse (1898-1979) ist aus den USA nach Berlin übergeführt worden. Sie soll am Freitag auf Wunsch der Familie auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof neben den Gräbern von Johann Gottlieb Fichte und Georg Wilhelm Friedrich Hegel beigesetzt werden.

July 15, 2003 [link] [back to top]
Die letzte Reise eines großen Philosophen
Die Urne von Herbert Marcuse kam gestern aus den USA in Berlin an - als Handgepäck seines Sohnes
von Kai Ritzmann [same as in Berliner Morgenpost]
Er war ein Held, für die einen. Er war durch einen Lebenslauf und eine Arbeitsleistung geadelt, die ihn in die unmittelbare Nähe zu Erich Fromm, Max Horkheimer und Theodor W. Adorno rückten. Er war Mitbegründer der "Frankfurter Schule", die vor den Nationalsozialisten in die USA geflüchtet war. Er wurde verehrt, sogar geliebt, sein Buch "Der eindimensionale Mensch" galt als die Bibel der Achtundsechziger. Seine Auftritte, vor allem in Berlin, waren - schon im Augenblick, als sie stattfanden - legendär.
Und er wurde gehasst, von den anderen. Von denen vor allem, die ihn nur hörten und sahen, nicht lasen. Denn auf dem Podium verschwand der Philosoph der Befreiung aus schier auswegloser Unterdrückung hinter dem charismatischen Hohepriester der Revolte, als den ihn die Studenten mit aller Kraft wahrnehmen wollten. Gestern nun kehrte dieser Herbert Marcuse nach Berlin, wo er 1898 geboren wurde, zurück. Sein Sohn Peter brachte die Urne, die zuletzt im Arbeitszimmer seines Hauses in Connecticut geruht hat, als Handgepäck mit in die Hauptstadt. Die Asche soll noch in dieser Woche auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof beigesetzt werden. Der Senat hat ihm dort ein Ehrengrab zuerkannt. Es ist eine Rückkehr zu Hegel und Fichte, Brecht und Hans Mayer - und ins Alte Europa. Es ist eine Eingemeindung in den Hain deutscher Denker. Es ist, 24 Jahre nach seinem Tod, der ihn in Starnberg ereilt hat, das versöhnliche Ende eines langen Weges.
Bei seiner Ankunft auf dem Flughafen Tegel erklärte Peter Marcuse die letzte Reise seines Vaters zu einem Akt der "Gerechtigkeit" und zu einer "politischen Geste". Schließlich sei das große Thema Herbert Marcuses, der Widerstand gegen Entmündigung und Manipulation, noch immer lebendig. Mit der Beisetzung sei "kein Schlussstrich" gezogen. "Der Kampf", so der Nachgeborene, der selbst an der New Yorker Columbia University Stadtplanung lehrt, "geht weiter."
In Tegel wurde die Urne in den lang gestreckten Cadillac der Firma Grieneisen gelegt. Der außergewöhnliche Leichenwagen ist eigentlich schon in den Besitz des Technikmuseums übergegangen (wir berichteten), für diesen Anlass jedoch wurde er noch einmal quasi requiriert. Dies war weniger der Plan der Familie, vielmehr wünschte sich eine TV-Produktionsfirma diesen eher theatralischen Auftritt. Das Fernsehteam arbeitet gerade an der ersten Dokumentation über den Intellektuellen und Professor, der seit den 60er-Jahren an der Universität von San Diego gelehrt hat. Und so nahm die Urne Platz im Cadi. Eingepackt war sie in jene alte Versandschachtel aus Pappe, in der sie schon 1979 von Starnberg per Luftpost nach New Haven expediert worden ist. "Achtung Aschenurne - Pietätvoll behandeln!" steht auf einem Aufkleber. Auch die alte Frachtnummer des Münchner Flughafens (774) ist noch zu sehen. Der kleine Karton hat einmal gute Dienste geleistet, warum denn nicht erneut!
Mit dieser Ladung im Fond fuhr das Grieneisen-Mobil, verfolgt von dem Filmteam, vom Flughafen aus durch die Stadt, vorbei am Charlottenburger Schloss, am Brandenburger Tor, die Friedrich- und endlich die Chausseestraße hinauf bis zum Friedhof. Eine Fahrt noch einmal durch seine Geburtsstadt. Hier ging er, Sohn einer großbürgerlichen jüdischen Familie, aufs Augusta-Gymnasium, hier zur Universität, hier arbeitete er in den 20er-Jahren bei einem Verlag. Berlin hätte seine Stadt werden können, sein geistiger Nährboden. Aber es kam anders. Auch er musste vor Hitler fliehen. Amerika wurde seine Heimat. Nun wird er in Berlin, dem Ort, der ihm entrissen wurde, beerdigt.
Sein Vater, sagte Peter Marcuse, hätte die Sache mit der Beisetzung "nicht so wichtig genommen". Mag sein, er hatte wohl anderes im Kopf. Für das geistige Berlin jedoch ist es ein Ereignis.

Welt, July 19, 2003 [back to top]
Urne mit der Asche des Philosophen Herbert Marcuses in Berlin beigesetzt
Die Urne mit der Asche des Philosophen Herbert Marcuse ist fast 25 Jahre nach seinem Tod gestern in Berlin beigesetzt worden. An der Feier auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Mitte nahmen aus den USA kommend Sohn Peter und Enkel Harold mit ihren Familien teil. Der Berliner Senat, vertreten durch Wissenschaftssenator Thomas Flierl (PDS), hatte Marcuse eine Ehrengrabstätte neben den Gräbern der Philosophen Johann Gottlieb Fichte und Georg Wilhelm Friedrich Hegel zuerkannt.
Der 1898 in Berlin geborene Marcuse war ein Vordenker der Studentenbewegung der 60er- und 70er-Jahre. Bekannt wurde er mit dem Buch "Der eindimensionale Mensch" und seiner Formel von der "großen Verweigerung", die sich gegen die kapitalistische Produktionsweise richtete.
Eigentlich sollte die Beisetzung im engen Familienkreis stattfinden, aber dann kamen doch rund 100 Freunde und Neugierige zu dem alten Friedhof im Herzen Berlins, unter ihnen die amerikanische Bürgerrechtskämpferin Angela Davies und die PDS-Bundestagsabgeordnete Petra Pau. Wie schon beim Ehrensymposium am Tag zuvor in der Freien Universität Berlin (FU) war die Stimmung eine Mischung aus Andacht und Fröhlichkeit. Abschließend wurde gemeinsam ein Kaddisch gesprochen, ein jüdisches Gebet. dpa


Welt, July 19, 2003 [link] [back to top]
Die Asche meines Vaters
24 Jahre nach seinem Tod ist der Philosoph Herbert Marcuse in Berlin beigesetzt worden

von Hendrik Werner [one paragraph shorter than in Berliner Morgenpost]

Angela Davis at Marcuse-colloquium at FU Berlin, July 2003
Die US-Bürgerrechtlerin Angela Davis während eines Gedenk-kolloquiums vor einem Foto des Philosophen Herbert Marcuse
Foto: ddp

Kaum, dass die schwarze Urne in das schmale, von welken Blumen gesäumte Grab am Rande des Dorotheenstädtischen Friedhofs hinabgelassen worden ist, geht schon die Rede vom ewigen Leben des teuren Toten. "Wir sind gekommen", sagt sein Sohn Peter mit in den Hosentaschen versenkten Händen, "um seine Asche zu beerdigen, nicht aber, um ihn zu beerdigen." Der Kampf im Geiste seines Vaters gehe weiter. Gegen gesellschaftliche Repression, gegen ideologische Zumutungen. Herbert Marcuse, würde er noch unter ihnen weilen, hätte "Weitermachen!" als Parole ausgegeben.

Etwa 80 Menschen, darunter neben Berlins Kultursenator Thomas Flierl (PDS) auch Marcuses bekannteste Schülerin, die schwarze amerikanische Bürgerrechtsaktivistin Angela Davis, haben sich am Freitagvormittag auf dem als Club der toten Dichter und Denker geltenden Gottesacker versammelt, um am Vortag seines 105. Geburtstages so etwas wie endgültigen Abschied von dem in Berlin gebürtigen Philosophen zu nehmen. War doch der Mitbegründer der Kritischen Theorie, der mit Theodor W. Adorno und Max Horkheimer zu den exponiertesten Vertretern der Frankfurter Schule gehörte, schon 1979 auf einer Vortragsreise in Starnberg verstorben. Seine Grablegung markiert das Ende einer Odyssee. Eingeäschert worden war Marcuse nicht an seinem Todesort, sondern in Österreich. Schließlich seien in Deutschland genug Menschen verbrannt worden, beschied seine Witwe damals. Marcuse musste 1934 wegen seiner jüdischen Herkunft in die USA emigrieren. Auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof trägt die Trauergemeinde seinen Wurzeln durch Sprechen des Kaddisch Rechnung.

"Wie sein Denken war auch sein Sterben ein Prozess - von der Kremierung bis zu diesem letzten Punkt", fasst Enkel Harold am Grab, das unweit der letzten Ruhestätten von Marcuses Freund Brecht und seinem Idol Hegel gelegen ist, pointiert die lange Heimreise des Wissenschaftlers zusammen. Dessen sterbliche Überreste hatten von 1979 bis 2001 unbeachtet, unerinnert und unbestattet in einem Bestattungsinstitut in Connecticut gelagert, bevor Peter Marcuse gegen familiäre Widerstände die Idee durchsetzte, mit der Asche seines Vaters "den Deutschen einen ihrer besten Intellektuellen zurückzugeben". Dies sei kein Zeichen der Versöhnung, stellte sein Enkel am Vortag der Beerdigung bei einem Gedenkcolloquium an der Freien Universität klar, sondern eine "Geste der Hoffnung und des Vertrauens".

Es ist durchaus eine fröhliche Grablegung. Zu groß scheint der Abstand zum Todesdatum, um sich mehr als bloß formaler Trauergesten zu befleißigen. Auch wenn Petra Pau (PDS), als sie der Urne eine Handvoll Erde appliziert, gerührt wirkt. Schließlich ist hier just eine sozialistische Hoffnung (wenngleich eine nie vereinnahmbare) in der Versenkung verschwunden. Auch der Mangel an musikalischen wie gesprochenen Moll-Töne sowie die legere und bunte Kleiderordnung nähren den Eindruck, hier finde ein Familienfest aus erfreulichem Anlass statt: Nachfahren Marcuses wieseln mit Stofftieren durch die Grabreihen, und Angela Davis, grau gewordene Ikone des Widerstands gegen Rassismus, lässt sich von dem Philosophen Gunter Gebauer das Renommee des Friedhofs erläutern ("There are many books about this cemetery. It's very famous"). Einzig RTL-Chefmoderator Peter Kloeppel macht ein verkniffenes Gesicht. Vielleicht nur, weil ihn kaum jemand erkennt. Unterdessen beschwört Senator Flierl, der das Ehrenbegräbnis "gegen absurde bürokratische Regelungen durchgesetzt" haben will, Marcuse als ungebrochen aktuellen "Kronzeugen für die Notwendigkeit, den Kapitalismus zu überwinden".

Vergleichbar pathetische Töne sind beim Gedenkcolloquium im Audimax der FU zu hören, wo Marcuse fast auf den Tag genau 36 Jahre zuvor unter dem Leitwort "Das Ende der Utopie" mit Studenten über Widerstandsrecht diskutierte. Eine Art linker Kameradschaftabend ist es anno 2003, da Verwandte und Schüler Marcuses sowie ehemalige AStA-Vorsitzende, längst selbst zu akademischen Ehren gekommen, unisono beteuern, dies sei keine Nostalgieveranstaltung. Das von Sonnenblumengestecken gerahmte Podium, über dem sich ein überdimensionales Bild des Toten wölbt, spricht ebenso wie die Weihefülle manchen Vortrags eine andere Sprache. Fehlte bloß noch die Urne. [one more paragraph is in the Berliner Morgenpost]


prepared for the web by Harold Marcuse, July 29, 2003
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